15.04.2025 - München
Um Mitglieder in besonderen Notlagen zu unterstützen, hat die Bayerische Ingenieurekammer-Bau bereits 2005 den Karl-Kling-Sozialfonds eingerichtet. Ein Mitglied, das Leistungen aus Sozialfonds bezieht, ist Markus Ihm, der an ALS erkrankt. ALS ist nicht heilbar und führt dazu, dass nach und nach alle Muskeln des Körpers ihre Arbeit einstellen. Im Interview gibt der Familienvater Einblick in sein Leben mit ALS – und rät, die Themen Altersvorsorge und Berufsunfähigkeit schon zu Beginn der Berufstätigkeit proaktiv anzupacken.
Herr Ihm, vor Kurzem sind Sie 50 Jahre alt geworden, herzlichen Glückwunsch nachträglich!
Vielen Dank für Ihre Glückwünsche. Innerlich fühle ich mich gar nicht so alt.
Seit 25 Jahren sind Sie Ingenieur, arbeiten seit 2009 bei der Ingérop Deutschland GmbH in München. Was machen Sie dort genau?
Bis April 2017 habe ich bei Ingérop (vormals EDR GmbH) den Bereich Wasserbau geleitet. Eine unglaublich spannende und herausfordernde Aufgabe. Leider musste ich aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten und habe diese Position schweren Herzens abgegeben. Gottseidank hat mich mein Arbeitgeber in dieser Situation unterstützt, so dass ich weiterhin arbeiten kann. Dafür bin ich unglaublich dankbar.
Ich bin dem Wasserbau weiterhin treu geblieben. Mein Aufgabengebiet hat sich lediglich verschoben. Ich bin im Bereich Akquisition (VGV-Verfahren, Angebotsbearbeitung), Mitwirkung bei Projekten im Wasserbau und der Geotechnik (Erdstatische Berechnungen für Deiche und Dämme, Baugrubenverbauten, Talsperren usw.) tätig und unterstütze und berate meine Kollegen bei fachlichen Fragen (interne Qualitätssicherung).
Vor rund zehn Jahren gab es einen massiven Wendepunkt in Ihrem Leben. Was ist passiert?
Es begann im Herbst 2015, als ich Probleme beim Sport hatte. Ich dachte zunächst an Nachwirkungen meiner alten Sprunggelenksverletzung, aber leider wurde es zunehmend schlechter. Die Kraft in meinen Beinen ließ zunehmend nach, Faszikulationen in sämtlichen Muskelregionen usw. Von Woche zu Woche verschlechterter sich mein Zustand. Die Ursachensuche war lang und zäh. Im September 2016 dann die finale Diagnose: ALS (Amyotrophe Lateralsklerose)!
Wie hat sich Ihr Leben seit der Diagnose verändert?
Mein Leben und das meiner Familie hat sich dadurch komplett verändert. Alles wurde auf den Kopf gestellt. Quasi von heute auf morgen wurde ich zum Pflegefall. Man kann nur zusehen, wie der eigene Körper immer mehr verfällt und man bei vollem geistigem Bewusstsein im eigenen Körper gefangen ist.
Anfangs war ich verzweifelt, habe sehr viel geweint und mir so oft die Frage gestellt: Warum gerade ich? Die Zeit bis zur Akzeptanz hat eine ganze Zeit lang gedauert.
ALS ist seit über 150 Jahren bekannt, jedoch gibt es immer noch nichts, was diese Krankheit wirksam bremst, stoppt oder heilt. ALS ist ein Todesurteil auf Raten. Die durchschnittliche Lebenserwartung ohne Beatmung liegt bei lediglich 2 bis 5 Jahren.
Sie haben einen Instagram-Account auf dem Sie über Ihr Leben mit ALS sprechen, für Spenden für die Forschung werben und Einblick in Ihr Gefühlsleben geben. Wie viel Kraft kostet es Sie, diesen Account zu betreiben und wie viel Kraft gibt es Ihnen?
Anfangs war der Instagram-Account als eine Art Tagebuch meiner persönlichen „Reise“ gedacht. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich ein Ventil gebraucht habe, um meine Gedanken und Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Die emotionalen Schwankungen sind tausendmal schlimmer als der unaufhaltsame körperliche Niedergang.
Und auch wenn ich momentan nicht so häufig etwas poste, was aktuell äußeren Umständen geschuldet ist, hat er für mich eine große Bedeutung. Der Account ist mein Sprachrohr in die Welt. Ich habe zwar keine hunderttausend Follower, aber ich habe darüber weltweit so viele neue Menschen kennengelernt. Betroffene, Angehörige oder auch Menschen, die mehr oder weniger zufällig bei mir gelandet sind.
Und was mir neben meinen
Mädels Kraft gibt, ist, dass ich anderen Betroffenen helfen kann. Ihnen
unverbindlich Unterstützung anzubieten, nicht gleich den Kopf in den Sand zu
stecken und sie auf deren individuellem Weg zu begleiten. Möglicherweise ist
dies eine mir (von Gott) zugewiesene neue Aufgabe im Leben. Und das gibt mir
Kraft.
Sie sind seit 2011 Mitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und beziehen seit 2017 Leistungen aus dem Karl-Kling-Sozialfonds. Der Sozialfonds wurde eingerichtet, um Mitglieder, die in eine soziale Notlage gekommen sind, finanziell zu unterstützen. Er finanziert sich u.a. durch gespendete Aufwandsentschädigungen unserer Ausschuss- und Arbeitskreismitglieder. Auch Sie beziehen Leistungen aus dem Sozialfonds. Was bedeutet das für Sie?
Ich war vor meiner Erkrankung im Eintragungsausschuss der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Von daher kannte ich den Karl-Kling-Sozialfonds. Damals hätte ich nicht gedacht, dass es mich auch mal treffen würde.
Kurz gesagt: Die Unterstützung hilft mir und meiner Familie ungemein den Alltag leichter und entspannter zu meistern. Von daher empfinde ich tiefste Dankbarkeit.
Wenn Sie die Uhr nochmal 25 Jahre zurückdrehen könnten – welche Weichen würden Sie beim Berufsstart anders stellen?
Ehrlich gesagt: Keine! Ich hatte ein hervorragendes Studium an der Hochschule Biberach / Riß. Und habe dabei schnell meine Liebe zu Boden und Wasser (Geotechnik und mit etwas Verzögerung auch Wasserbau) entdeckt. Ich sehe meinen Beruf im wahrsten Sinne als Berufung. Wenn man seinen Beruf nicht nur als Job sieht, sondern mit Passion und aus Überzeugung ausübt, kann man sehr viel erreichen. Vom Projektingenieur zum Projektleiter, vom Abteilungsleiter zum Bereichsleiter. Und ohne ALS, wer weiß…
Private Altersvorsorge ist ein Thema, das allen Bürgerinnen und Bürgern immer nachdrücklicher von der Politik ans Herz gelegt wird. Dabei geht es nicht darum, nach der Berufstätigkeit möglichst komfortabel leben zu können, sondern den Lebensstandard nicht einzubüßen. Würden Sie sich den Appellen nach mehr privater Vorsorge anschließen?
Dies kann ich nur mehrfach unterstreichen und mit fünf Ausrufezeichenversehen. Unbedingt! Ich kann hierzu keine allgemeingültige Aussage treffen. Aus meiner Sicht stellt beispielsweise die Bayerische Ingenieurversorgung-Bau weiterhin ein solides Fundament dar. Darauf aufbauend sollte man sich bereits als Berufsanfänger frühzeitig mit dem Thema Rente auseinandersetzen. Die Art und Weise der zusätzlichen Absicherung hängt von zahlreichen individuellen Faktoren ab, ist aber unabdingbar.
Aber nicht nur das Thema Private Altersvorsorge ist heutzutage wichtig, sondern auch andere Bausteine wie beispielsweise eine Berufsunfähigkeitsversicherung.
Herr Ihm, wir danken Ihnen, dass Sie so offen über Ihre persönliche Situation gesprochen haben und wünschen Ihnen und Ihren Lieben alles erdenklich Gute!
Ich habe zu danken, dass ich die Möglichkeit hatte Ihnen und meinen Kollegen einen kurzen Einblick in mein Leben zu geben. Und wenn insbesondere das Thema ALS aktuell einen Kollegen betrifft oder sich anderweitig Fragen auftun, bitte mich gerne kontaktieren!
Markus Ihm berichtet auf seinem Instagram-
Kanal über sein Leben und die Krankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose):
https://www.instagram.com/_ihmma/
Wer mit Markus Ihm in Kontakt treten möchte,
kann dies über Instagram tun oder Sie
schreiben eine Mail an die Kammer –
nfbykd – wir leiten die Mail
dann direkt an Markus Ihm weiter.
Sie wollen ALS-Betroffenen mehr Sichtbarkeit
verschaffen? Dann unterstützen Sie den ALS-Awareness-Month, der im Mai insbesondere in den Sozialen Netzwerken begangen wird.
Weitere Infos zu ALS:
https://als-charite.de/amyotrophe-lateralsklerose-ursachen-symptome/
Der Karl-Kling-Sozialfonds, das nach dem ehemaligen Kammerpräsidenten Prof. Dr.-Ing. e.h. Dipl.-Ing. Karl Kling benannte Fürsorgewerk der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, hat die Aufgabe, unverschuldet in Not geratene Kammermitglieder oder deren Angehörige finanziell zu unterstützen.
Das Fürsorgewerk finanziert sich in erster Linie durch Spenden.
Kammermitglieder, die den Sozialfonds
in Anspruch nehmen möchten oder müssen, können sich jederzeit an die
Geschäftsstelle der Kammer wenden. Selbstverständlich werden alle Anfragen
vertraulich behandelt.
Weitere Infos zum Karl-Kling-Sozialfonds:
Fotos: Privat (1,3), Ingérop Deutschland GmbH (2)
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